08.04.2025
Barka e.V.
Beschreibe dein Unternehmen in zwei Sätzen.
Julie: Barka e. V. unterstützt obdach- und wohnungslose EU-Bürger*innen, vor allem aus Zentral- und Osteuropa, bei der sozialen und beruflichen Reintegration in Berlin – durch aufsuchende Straßensozialarbeit, individuelle Begleitung, Suchtberatung, Selbsthilfegruppen und einen starken Community-Ansatz.
Mit über 35 Jahren Erfahrung und einem europaweiten Netzwerk (u. a. in Polen, Großbritannien, Irland und den Niederlanden) ermöglichen wir die Wiederanbindung an familiäre und soziale Netzwerke in den Herkunftsländern oder einen Neuanfang in den gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsprojekten der Barka-Stiftung und ihrer Partnerorganisationen – stets mit Respekt, Vertrauen und auf Augenhöhe.
Wer steckt hinter Barka e.V.? Erzähle uns etwas über euch als Team oder Gründer:innen.
Julie: Der Name „Barka“ bedeutet auf Polnisch „Rettungsboot“ – und genau so verstehen wir uns: als sicherer Weg zurück ins Leben für Menschen in Not.
Die Wurzeln der Barka-Stiftung reichen zurück bis in den Juni 1989. Damals gründeten die Psycholog*innen Barbara und Tomasz Sadowski die erste Barka-Gemeinschaft im westpolnischen Dorf Chudobczyce – als Antwort auf die wachsenden sozialen Herausforderungen der Transformationszeit. Ihr Anliegen: ein soziales Umfeld schaffen, in dem die „vergessenen und unerwünschten“ Mitglieder der Gesellschaft wieder eine Chance auf persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe erhalten.
25 ehemals obdachlose Menschen lebten damals mit den Gründer*innen unter einem Dach. Darunter waren ehemals Kriminelle, Prostituierte und andere gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen. Eine obdachlose Frau hatte monatelang allein im Wald gelebt, bis das Ehepaar Sadowski mit seinen kleinen Kindern entschied, diese Menschen aufzunehmen. Zusammen renovierten sie ein altes Schulgebäude, bauten sich ein Zuhause auf und schufen durch Gemüseanbau, Tierhaltung und einfache Dienstleistungen selbstbestimmte Arbeitsplätze.
Was damals klein begann, ist heute ein lebendiges Netzwerk: Über 20 selbstverwaltete Barka-Gemeinschaften in Polen tragen sich wirtschaftlich selbst und arbeiten eng mit ihren lokalen Nachbarschaften zusammen. Die Barbara Sadowska und ihre Töchter sind bis heute für Barka tätig.
Im Mittelpunkt dieser organisch gewachsenen Organisation steht die Idee einer solidarischen Gesellschaft – getragen von gegenseitiger Hilfe, Verantwortung und der Überzeugung, dass jeder Mensch einen Neuanfang verdient. Gleichzeitig geht es bei Barka immer auch darum, an die Eigenverantwortung der Menschen für ihre Existenz zu appellieren, gewissermaßen die Selbstheilungskräfte für das eigene Schicksal zu aktivieren.
Ein entscheidender Schlüssel in unserer Arbeit ist die Ansprache durch sogenannte Erfahrungsexpert*innen – Menschen, die selbst Obdachlosigkeit und Ausgrenzung erlebt haben und heute andere auf Augenhöhe begleiten. Bei Barka nennen wir das die „University of Life“ – eine Lebenserfahrung, die in der aufsuchenden Arbeit oft mehr bewirkt als jedes Diplom. Natürlich sind unsere Erfahrungsexpert*innen stets gemeinsam mit ausgebildeten Fachkräften unterwegs und arbeiten nach den bundesweiten Standards der Straßensozialarbeit. Doch es ist ihre authentische Ansprache, die Türen öffnet – hin zu Vertrauen, Beziehung und der Möglichkeit echter Veränderung.
Wie entstand Barka e.V.?
Julie: Die Idee für Barka e. V. wuchs aus einer dringenden Notwendigkeit: Nach dem EU-Beitritt von Polen (2004), Rumänien (2007) und Bulgarien (2007) kamen immer mehr EU-Bürger*innen nach Deutschland auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Doch viele landeten durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, fehlende soziale Absicherung und Sprachbarrieren auf der Straße – ohne Perspektive, ohne Hilfe.
Barka reagierte. Bereits 2006 war die polnische Barka-Stiftung auf Einladung der Behörden in London aktiv, um obdachlose Osteuropäer*innen zu unterstützen. Mit der zunehmenden Migration innerhalb Europas wuchs auch der Bedarf an Unterstützung.
2018 folgte auf Einladung der polnischen Botschaft das erste Pilotprojekt in Berlin – gefördert durch den Senat der Republik Polen. Das Ziel: obdachlose polnische Bürger*innen in akuten Krisensituationen in Berlin zu erreichen und zu begleiten – durch Rückkehrangebote, Reintegration oder ein neues Leben in einer unterstützenden Gemeinschaft.
Heute ist Barka e. V. Teil eines europaweiten Netzwerks und in mehreren Städten, etwa in Utrecht, Rotterdam, Dublin und London aktiv – mit aufsuchender Sozialarbeit, mehrsprachigen Teams und einem Ansatz, der auf Respekt, Vertrauen und gelebter Solidarität beruht.
Was erhoffst du dir von re:connect?
Julie: Mit unserer Teilnahme am re:connect-Inkubator möchten wir die Grundlage für ein tragfähiges, regeneratives Finanzierungsmodell entwickeln – zunächst für unsere geplante Training Flat in Berlin: eine Übergangswohnung für obdachlose EU-Migrant*innen, die nicht nur sicheren Wohnraum bietet, sondern auch intensive Unterstützung bei der Jobsuche, beim Zugang zum Wohnungsmarkt sowie bei der sozialen Stabilisierung ermöglicht. Langfristig streben wir den Aufbau weiterer solcher Orte an, an denen gemeinschaftliches Leben und Arbeiten möglich wird – inspiriert von den Barka-Gemeinschaften in Polen.
Der Bedarf ist akut: Viele der Menschen, die wir begleiten, stehen außerhalb des Regelsystems. Sie haben keinen Zugang zu Grundsicherung, Sozialhilfe oder medizinischer Versorgung – häufig wegen fehlender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, mangelndem Krankenversicherungsschutz oder Sprachbarrieren. Da für unsere Zielgruppe das Jobcenter nicht zuständig ist, bleiben ihnen auch etablierte Modelle wie Housing First oder arbeitsmarktpolitische Programme verwehrt. Genau hier setzen wir an: mit niedrigschwelliger, lebensnaher Unterstützung, die nicht nur versorgt, sondern auch befähigt und verbindet.
Vom re:connect-Inkubator erhoffen wir uns konkrete Impulse und Begleitung bei der Entwicklung sozialunternehmerischer Modelle, die wirtschaftlich tragfähig sind und gleichzeitig Gemeinschaft, Teilhabe und Selbstermächtigung fördern. Uns interessiert besonders, wie wir inklusives Zusammenleben gestalten können – etwa durch die bewusste Mischung von ehemals obdachlosen EU-Migrant*innen mit Berliner*innen in gemeinschaftlichen Wohnformen. Wir möchten lernen, wie solche Communities entstehen und wachsen können, in denen Menschen gemeinsam leben, arbeiten und Verantwortung übernehmen.
re:connect gibt uns die Chance, unsere Vision strukturell weiterzudenken – und aus einer Idee ein tragfähiges Modell für soziale Teilhabe, lokales Empowerment und solidarisches Wirtschaften zu machen.
Was ist deine Vision für eine regenerativ wirtschaftende Zukunft und wie möchtest du dazu beitragen?
Julie: Unsere Vision ist eine regenerative, sozial gerechte Stadt, in der Menschen unabhängig von Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Lebenslage Zugang zu Wohnraum, Gemeinschaft und sinnstiftender Arbeit haben. Dafür wollen wir Orte schaffen, an denen ehemals obdachlose EU-Migrant*innen gemeinsam mit Alt-Berliner*innen leben, arbeiten und Verantwortung übernehmen – in solidarischen, inklusiven Gemeinschaften, die sowohl sozial als auch wirtschaftlich tragfähig sind.
Im Rahmen unseres Projekts entwickeln wir ein regeneratives Geschäftsmodell für unsere Training Flat – einen Ort, an dem Wohnen, Arbeitsmarktintegration, Teilhabe, Qualifizierung und Community-Building ineinandergreifen. Unsere Vision orientiert sich dabei an den Gemeinschaftsmodellen der Barka-Stiftung in Polen, die wir weiterentwickeln und lokal anpassen möchten.
Deutschland hat sich im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) zum EU-Ziel bekannt, Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden – auch für vulnerable EU-Bürger*innen aus Mittel- und Osteuropa, für die Deutschland eine besondere historische Verantwortung trägt. Wir wollen konkret dazu beitragen, dass Obdachlosigkeit nicht unsichtbar gemacht oder in andere Länder „verlagert“, sondern vor Ort durch inklusive, selbsttragende Lösungen überwunden wird. Denn die Bekämpfung von Obdachlosigkeit ist nicht nur sozialpolitisch notwendig – sie ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft: für Gesundheit, Teilhabe und Lebensqualität.
Welche Herausforderungen musstet ihr auf eurem Weg bisher meistern – und was habt ihr daraus gelernt?
Julie: Nach dem erfolgreichen Pilotprojekt 2018 und der anschließenden Gründung von Barka e. V. standen wir vor mehreren grundlegenden Herausforderungen.
Zum einen galt es, eine geeignete Leitungsperson zu finden – jemanden, der nicht nur organisatorische Kompetenz mitbringt, sondern auch die DNA und Mission von Barka wirklich lebt und verkörpert. Gleichzeitig mussten wir in Deutschland Überzeugungsarbeit leisten: Dass Menschen mit eigener Erfahrung von Obdachlosigkeit, Sucht oder Migration nicht nur als "Betroffene", sondern als wertvolle Mitarbeitende gesehen werden sollten – auch wenn sie keinen formellen Abschluss als Sozialarbeiter*in haben. Sie arbeiten bei uns stets im engen Tandem mit Fachkräften und verdienen Anerkennung – auch finanziell. Unsere Erfahrungsexpert*innen leisten tagtäglich Beziehungsarbeit auf Augenhöhe, und wir setzen uns dafür ein, dass ihre Arbeit langfristig auch im Tarifsystem ihren Platz findet – nicht nur beim Mindestlohn.
Eine weitere große Herausforderung war (und ist), das Prinzip der freiwilligen Rückkehr – oder wie wir sagen: der Reconnection – verständlich zu machen. In den letzten Jahren haben wir europaweit mehrere tausend Menschen auf ihrem Weg zurück in ihre Heimatländer begleitet – nicht als Abschiebung, sondern als eine oft lebensrettende Maßnahme. Denn viele unserer Klient*innen haben in Deutschland keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Sozialleistungen. Ohne Krankenversicherung und oft mit komplexen psychischen oder Suchterkrankungen ist es kaum möglich, sie in den Arbeits- oder Wohnungsmarkt zu integrieren. Erst durch Stabilisierung im vertrauten Umfeld – verbunden mit Familie, Community und langfristiger Begleitung – kann ein echter Neustart gelingen. Barka würde niemals jemanden von einer Straße Europas auf eine andere verlagern. Unser Ziel ist immer eine nachhaltige Perspektive – und nie das schnelle „Wegschaffen“.
Was wir aus all dem gelernt haben: Dass es Mut braucht, um gegen Vorurteile, Bürokratie und starre Systeme anzukämpfen – und dass echte Veränderung möglich ist, wenn man Menschen auf Augenhöhe begegnet, ihnen vertraut und ihnen Zeit gibt.
Worauf freust du dich in den kommenden Jahren – sei es für dein Unternehmen, deine Community oder die Welt?
Julie: Wir freuen uns darauf, dass Barka zunächst in Berlin und dann in anderen deutschen Städten als Ansprechpartner für eine oft vergessene Zielgruppe ganz konkrete Hilfe leisten wird. Damit verändern wir das Schicksal einzelner Menschen und das erfüllt uns mit Vorfreude. Es gibt kaum etwas Erfüllenderes, als zu einem positiven Wandel im Leben eines anderen Menschen beitragen zu können. Wir freuen uns darauf, in der städtischen Community einen Wandel hin zu mehr sozialer Unterstützung für ausgegrenzte Menschen mitzugestalten. Wir würden gern miterleben, wie unsere Arbeit andere inspiriert, daran teilhaben zu wollen. Sollten wir es schaffen, ein soziales Unternehmen zu bauen, das sich selbst trägt und das polnischen, rumänischen oder bulgarischen Menschen eine Perspektive bietet und gleichzeitig einen Bedarf in der städtischen Community deckt, wäre das für uns ein riesiger Erfolg. Denkbar wären teil-subventionierte, handwerkliche Dienstleistungen in den Bezirken („der polnische Klempner“) oder ökologische Produkte, die wir von den Barka-Höfen in Westpolen importieren oder ein tolles Konzept zur Wiederverwertung von Textilien, die niemand mehr braucht. Wir freuen uns auf den Weg dahin!
Gibt es noch was, was du gerne mit uns teilen würdest?
Julie: Wir freuen uns schon sehr auf das Kick-Off-Treffen nächsten Monat – und darauf, die anderen Organisationen sowie das re:connect-Team persönlich kennenzulernen!😊